Wir leben in einer pluralen Welt, in der wir Menschen einer Vielzahl von religiösen und nicht-religiösen Weltanschauungen und Praktiken begegnen. In dieser Umwelt gehören Menschen nicht automatisch einer bestimmten Religion an, in die sie hineingeboren worden sind, sondern können zwischen verschiedenen religiösen und nicht-religiösen Optionen wählen.
Eine plurale Theologie der Religionen, die Menschen zur Orientierung dieser multireligiösen Landschaft dienen soll, muss offen für religiöse Vielfalt und religiöse Grenzen überscheitend sein. Sie darf daher nicht nur auf Offenbarungen, Erkenntnissen, Bekenntnissen oder Traditionen basieren, die jeweils in nur einer spezifischen Religion anerkannt werden. Es ist vielmehr eine Theologie nötig, die die Vielfalt der religiösen Traditionen als unterschiedliche Religionen anerkennt und sowohl religiöse Zeugnisse aus verschiedenen Religionen selbst als auch religionswissenschaftliche Erkenntnisseüber diese Religionen zur Grundlage nimmt, um sie in Hinsicht auf ihren religiösen Gehalt, ihre Bedeutung für religiöse Menschen und ihre Deutung durch religiöse Menschen systematisch zu entfalten.
Eine solche wissenschaftlich ausgerichtete, plurale Theologie der Religionen, die der Orientierung in einer multireligiösen Landschaft dienen, den interreligiösen Dialog fördern sowie religiöse und religionskundliche Bildung ermöglichen soll, kann nicht dogmatisch den Standpunkt einer einzigen Religion vertreten, sondern muss offen für verschiedene Religionen und ihre jeweilige Sicht auf das, woran ihre Anhänger ihr Herz höngen, sein.
Dieser religionstheologische Ansatz geht von den Religionen, den religiösen Menschen und ihren Praktiken und Vorstellungen aus. Viele Menschen führen religiöse Handlungen aus, verwenden religiöse Symbole und drücken sich in religiösen Sprachformen aus. Diese religiösen Menschen lassen durch dieses Verhalten implizit bestimmte religiöse Vorstellungen erkennen undäußern sie manchmal auch explizit. Aus diesen impliziten und expliziten religiösen Lehren lässt sich eine Theologie der Religionen entwickeln. Diese Theologie muss dabei hermeneutisch vorgehen, das bedeutet, dass sie versucht zu erklären und zu deuten, woran religiöse Menschen glauben, das heißt, woran sie ihr Herz hängen, worauf sie vertrauen, worauf sie sich verlassen.
Dieser religionstheologische Ansatz deutet die religiösen Vorstellungen von Menschen als religiöse Vorstellungen und nichts Anderes. Das heißt, dass weder im Voraus unterstellt wird, die Religionen beruhten auf einer göttlichen Offenbarung oder der Erkenntnis einer ewigen Wahrheit, noch wird behauptet, sie ließen sich gänzlich auf einen anderen Wirklichkeitsbereich wie die Gesellschaft, die Psyche oder Prozesse im Gehirn zurückführen.
Der religionstheologische Ansatz geht dagegen zunächst einmal von dem Selbstverständlichen aus: Die religiösen Vorstellungen und Handlungen der Menschen, um die es in der Theologie geht, sind Vorstellungen und Handlungen von religiösen Menschen und werden als solche gedeutet. Eine solche Theologie der Religionen erläutert die religiöse Bedeutung dieser Vorstellungen und Handlungen, das heißt die Bedeutung, die sie in der jeweiligen Religion haben. Diese religiöse Bedeutung haben sie unabhängig davon, ob sie nun auf Offenbarung, auf wahrer Erkenntnis oder auf Projektion, auf historischen Ereignissen, auf Naturerscheinungen oder auf Wunscherfüllungen beruhen.
Die vorliegende plurale Theologie der Religionen geht davon aus, dass es in Religionen immer um ein Transzendieren des Selbst und der Welt der empirischen Faktizität geht. Dieses Transzendieren ist eine menschliche Tätigkeit, die nicht von einem möglicherweise real existierenden transzendenten Wesen abhängig ist. Es gibt für die Theologie daher kein objektives Wahrheitskriterium. Daher wird hier auf das Reden von religiöser Wahrheit oder das Vertreten eines Objektivitäts- oder Wahrheitsanspruches verzichtet.
Jeder Wahrheitsanspruch würde ja in der einen oder anderen Form dieübereinstimmung bestimmter Glaubensvorstellungen mit einem wie auch immer gestalteten real existierenden Gegenstand behaupten. Wenn das Transzendieren aber die Tätigkeit desüberschreitens der real existierenden Welt der Faktizität ist, kann ein solcher Gegenstand nicht real existieren.
Damit kann es auch kein Wahrheitskriterium geben, das zurüberprüfung von Wahrheitsansprüchen angewendet werden könnte.
Es gibt aber durchaus Nützlichkeitskriterien: Was ist für Menschen in ihrer jeweiligen Umwelt (über)lebensfördernd, hilft ihnen dabei, ihr Leben zu führen und zu meistern, ist für sie heilsam, sinnstiftend und orientierend? Da dies für verschiedene Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen und unter vielfältigen Umweltbedingungen nicht ein einziges religiöses System sein kann, handelt es sich um eine Theologie der religiösen Traditionen im Plural, eine plurale und pluralistische Theologie der vielfältigen Angebote. Sie will die vielfältigen Gottesbilder in ihrer Pluralität verstehend deuten und als Optionen darstellen. Grundlage und Ziel sind kein exklusives Bekenntnis, sondern eine offene Theologie, keine Bindung an eine einzelne Tradition, sondern die Partizipation an mehreren Traditionen.
Dieser offene, plurale und transreligiöse religionstheologische Ansatz ist meiner Auffassung nach am besten geeignet, um als theologische Grundlage für einen Dialog zwischen Angehörigen verschiedener Religionen und nichtreligiösen Menschen mit jeweils unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen zu dienen und für einen interreligiös-dialogischen Religionsunterricht zu dienen.